Berlin-Tempelhof trägt eine reiche und vielschichtige Geschichte in sich, die weit über die bekannte Flughafenära hinausreicht. Von den mittelalterlichen Anfängen als Templer-Komturei bis hin zur Entwicklung als moderner Stadtbezirk mit weltpolitischer Bedeutung – Tempelhofs Vergangenheit ist geprägt von bedeutsamen historischen Wendepunkten und faszinierenden Wandlungsprozessen. Dieser Artikel nimmt Sie mit auf eine Zeitreise durch die Jahrhunderte und beleuchtet die wichtigsten Epochen und Ereignisse, die Tempelhof zu dem gemacht haben, was es heute ist.
Die mittelalterlichen Ursprünge: Templerorden und Dorfgründung
Die Templer und die Namensgebung
Die Geschichte Tempelhofs beginnt im 12. Jahrhundert und ist eng mit dem Templerorden verbunden, einer geistlichen Rittergemeinschaft, die während der Kreuzzüge gegründet wurde. Um das Jahr 1200 entstand hier eine Templerkommende (Niederlassung des Ordens), nach der der Ort später benannt wurde: „Tempelhof“ – wörtlich „Hof der Templer“. Der Orden erhielt das Land vermutlich als Schenkung von den askanischen Markgrafen, die zu dieser Zeit die Mark Brandenburg beherrschten.
Die Templer ließen sich an strategisch günstiger Stelle nieder, an einem wichtigen Handelsweg südlich des noch jungen Berlin. Sie errichteten einen befestigten Gutshof, der gleichzeitig als religiöses Zentrum, landwirtschaftlicher Betrieb und Stützpunkt diente. Die Kommende war Teil eines europaweiten Netzwerks von Templerniederlassungen, die durch Handel, Bankgeschäfte und Landwirtschaft beträchtlichen Reichtum anhäuften.
Dorfgründung und erste Kirche
Um die Templerkommende herum entstand ein Dorf, das von Bauern und Handwerkern besiedelt wurde, die für den Orden arbeiteten oder unter seinem Schutz standen. Die Dorfstruktur mit einem zentralen Anger (Dorfplatz) und der Kirche als Mittelpunkt ist typisch für die märkischen Dörfer dieser Zeit und hat sich in Teilen bis heute im Ortskern von Alt-Tempelhof erhalten.
Die erste Kirche in Tempelhof wurde vermutlich im frühen 13. Jahrhundert von den Templern errichtet. Der älteste Teil der heutigen Dorfkirche, der massive Feldsteinturm, stammt aus dieser Zeit und ist damit das älteste erhaltene Bauwerk in Tempelhof. Die schlichte, wehrhaft wirkende Architektur spiegelt den Charakter des Ritterordens wider. Die Kirche diente nicht nur als religiöses Zentrum, sondern bot in unruhigen Zeiten auch Schutz für die Dorfbevölkerung.
Nach den Templern: Johanniter und märkische Adelsgeschlechter
Als der Templerorden 1312 durch Papst Clemens V. aufgelöst wurde, ging der Besitz in Tempelhof an den Johanniterorden über, einen anderen geistlichen Ritterorden. Die Johanniter führten die landwirtschaftliche Nutzung fort und erweiterten die Kommende. In dieser Zeit wurde das Dorf Tempelhof weiter ausgebaut und befestigt.
Im Laufe des späten Mittelalters wechselte Tempelhof mehrfach den Besitzer und kam unter die Kontrolle verschiedener märkischer Adelsgeschlechter. Diese Zeit war geprägt von kriegerischen Auseinandersetzungen und Fehden zwischen den Landesherren, unter denen auch die Dorfbevölkerung zu leiden hatte. Trotz dieser Wirren entwickelte sich Tempelhof zu einem prosperierenden Dorf, das von seiner günstigen Lage an der Handelsstraße nach Süden profitierte.
Vom Bauerndorf zum Berliner Vorort: Tempelhof im 17. bis 19. Jahrhundert
Tempelhof unter den Hohenzollern
Im Jahr 1435 erwarb die Stadt Berlin das Dorf Tempelhof, musste es aber bereits 1461 auf Druck des Kurfürsten Friedrich II. wieder abgeben. In der Folgezeit wurde Tempelhof zu einem kurfürstlichen Domänenamt, das der Versorgung des Berliner Hofes diente. Die fruchtbaren Böden rund um Tempelhof lieferten Getreide, Obst und Gemüse für die wachsende Hauptstadt.
Unter der Herrschaft der Hohenzollern erlebte Tempelhof eine Phase relativer Stabilität und landwirtschaftlicher Prosperität. Das Dorf blieb jedoch von den großen historischen Ereignissen nicht verschont. Besonders der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) traf die Region hart. Plünderungen, Brandschatzungen und Seuchen dezimierten die Bevölkerung, und viele Höfe wurden aufgegeben. Erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erholte sich Tempelhof langsam von diesen Verheerungen.
Das Feld: Vom Exerzierplatz zum Naherholungsgebiet
Das Tempelhofer Feld, heute als ehemaliges Flughafengelände bekannt, hat eine lange Geschichte als offene Fläche am Rande der Stadt. Seit dem 18. Jahrhundert diente es als Exerzierplatz für die preußische Armee. Hier fanden regelmäßig Paraden und Manöver statt, bei denen der König oder Kaiser die Truppen inspizierte. Die weitläufige, ebene Fläche bot ideale Bedingungen für militärische Übungen und Aufmärsche.
Gleichzeitig entwickelte sich das Tempelhofer Feld zu einem beliebten Ausflugsziel für die Berliner Stadtbevölkerung. An Sonn- und Feiertagen strömten die Menschen aus der engen Stadt hinaus ins Grüne, um die frische Luft zu genießen. Entlang der heutigen Tempelhofer Chaussee (heute Tempelhofer Damm) entstanden Ausflugslokale und Biergärten, die den Ausflüglern Erfrischung und Unterhaltung boten.
Industrialisierung und Eingemeindung nach Berlin
Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert veränderte Tempelhof grundlegend. Die Nähe zu Berlin machte den Ort attraktiv für Industrieansiedlungen. Besonders nach dem Bau der Eisenbahnlinie Berlin-Dresden 1875, die durch Tempelhof führte, siedelten sich zahlreiche Fabriken und Gewerbebetriebe an. Die bekannteste war die Maschinenfabrik Ludwig Loewe & Co., die später zur Waffen- und Munitionsfabrik ausgebaut wurde.
Mit der Industrialisierung wuchs die Bevölkerung rasch an. Zwischen 1870 und 1900 verzehnfachte sich die Einwohnerzahl von Tempelhof. Für die Arbeiter in den Fabriken entstanden neue Wohnsiedlungen, und der Charakter des Ortes wandelte sich vom ländlichen Dorf zum urbanen Vorort. Diese Entwicklung mündete schließlich in die Eingemeindung Tempelhofs nach Groß-Berlin im Jahr 1920, als aus zahlreichen eigenständigen Gemeinden und Städten die neue Hauptstadt Berlin geschaffen wurde.
Die Anfänge der Luftfahrt in Tempelhof: Von Orville Wright zum Weltflughafen
Erste Flugversuche auf dem Tempelhofer Feld
Die Geschichte Tempelhofs ist eng mit der Entwicklung der Luftfahrt verbunden. Das Tempelhofer Feld bot mit seiner weitläufigen, ebenen Fläche ideale Bedingungen für die Pioniere der Fliegerei. Ein Meilenstein war der Besuch von Orville Wright im Jahr 1909. Der amerikanische Flugpionier führte auf dem Tempelhofer Feld spektakuläre Demonstrationsflüge durch, die Tausende von Zuschauern anlockten und die Begeisterung für die Fliegerei in Deutschland entfachten.
In den folgenden Jahren etablierte sich das Tempelhofer Feld als wichtiger Standort für die deutsche Luftfahrt. Hier wurden Flugzeuge getestet, Piloten ausgebildet und Flugschauen veranstaltet. Während des Ersten Weltkriegs diente das Gelände als Militärflugplatz und Ausbildungsstätte für Kampfpiloten. Nach dem Krieg wurde der zivile Flugverkehr wieder aufgenommen, und Tempelhof entwickelte sich zum zentralen Flughafen der Hauptstadt.
Der erste Flughafenbau in den 1920er Jahren
Der wachsende Luftverkehr erforderte den Bau eines modernen Flughafens. 1923 wurde der erste Flughafen Tempelhof eröffnet, der aus einem repräsentativen Empfangsgebäude und mehreren Hangars bestand. Das Gebäude im neoklassizistischen Stil mit seiner imposanten Säulenhalle spiegelte das Selbstverständnis der jungen deutschen Luftfahrt wider.
Die 1920er Jahre waren die erste Blütezeit des Flughafens Tempelhof. Von hier aus starteten Flüge zu europäischen Metropolen wie London, Paris und Moskau. Die Deutsche Luft Hansa (Vorläuferin der Lufthansa) hatte in Tempelhof ihren Hauptsitz und baute von hier aus ihr internationales Streckennetz auf. Der Flughafen wurde zum Symbol für die Weltoffenheit und den technologischen Fortschritt der Weimarer Republik.
Das monumentale Flughafengebäude der NS-Zeit
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begann ein neues Kapitel in der Geschichte des Flughafens Tempelhof. Die neue politische Führung plante einen monumentalen Neubau, der die Größe und Macht des „Dritten Reiches“ demonstrieren sollte. Der Architekt Ernst Sagebiel entwarf ein gigantisches Gebäude, das mit seiner geschwungenen Form und einer Länge von über einem Kilometer alle bisherigen Flughafenbauten in den Schatten stellte.
Der Bau begann 1936, wurde aber durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs unterbrochen und nie vollständig fertiggestellt. Dennoch ist das Flughafengebäude ein beeindruckendes Zeugnis der NS-Architektur und war zu seiner Zeit das größte Gebäude der Welt. Die massive Stahlbetonkonstruktion mit ihrer Natursteinfassade und den repräsentativen Innenräumen spiegelt den totalitären Anspruch des Regimes wider. Während des Krieges wurde der Flughafen für militärische Zwecke genutzt, und unter dem Gebäude entstanden Bunkeranlagen und Rüstungsfabriken, in denen Zwangsarbeiter unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten mussten.
Tempelhof im Zweiten Weltkrieg und der Berliner Luftbrücke: Symbol der Freiheit
Kriegszeit und Zerstörung
Der Zweite Weltkrieg hinterließ auch in Tempelhof tiefe Spuren. Als Industriestandort und Verkehrsknotenpunkt war der Bezirk ein wichtiges Ziel alliierter Luftangriffe. Besonders die Industrieanlagen und Verkehrsinfrastruktur wurden schwer getroffen, aber auch Wohngebiete erlitten erhebliche Zerstörungen. Das Flughafengebäude selbst blieb aufgrund seiner massiven Bauweise weitgehend intakt.
In den letzten Kriegstagen wurde Tempelhof zum Schauplatz erbitterter Kämpfe zwischen der heranrückenden Roten Armee und deutschen Truppen. Am 27. April 1945 wurde der Bezirk von sowjetischen Truppen eingenommen, bevor er nach den Vereinbarungen der Alliierten Teil des amerikanischen Sektors von Berlin wurde.
Die Berliner Luftbrücke 1948/49: Tempelhofs Sternstunde
Die wohl bedeutendste Episode in der Geschichte Tempelhofs ist die Berliner Luftbrücke von 1948/49. Als die Sowjetunion am 24. Juni 1948 alle Land- und Wasserwege nach West-Berlin blockierte, um die ehemaligen Alliierten aus der Stadt zu drängen, organisierten die Westmächte, insbesondere die USA, eine beispiellose Luftbrücke, um die 2,2 Millionen Einwohner West-Berlins mit lebensnotwendigen Gütern zu versorgen.
Der Flughafen Tempelhof wurde zum zentralen Drehpunkt dieser Operation. In den 11 Monaten der Blockade landeten und starteten hier Tag und Nacht Flugzeuge, oft im Abstand von nur 90 Sekunden. Insgesamt wurden über 2,3 Millionen Tonnen Güter eingeflogen, darunter Lebensmittel, Kohle und Medikamente. Die „Rosinenbomber“, wie die Transportflugzeuge liebevoll genannt wurden, wurden zum Symbol der Freiheit und der Solidarität des Westens mit Berlin.
Die Luftbrücke endete am 12. Mai 1949, nachdem die Sowjetunion die Blockade aufgehoben hatte. Sie gilt als einer der ersten großen Konflikte des Kalten Krieges und prägte das Selbstverständnis West-Berlins nachhaltig. Der Flughafen Tempelhof und das Luftbrückendenkmal am Platz der Luftbrücke erinnern bis heute an diese heroische Leistung.
Tempelhof im geteilten Berlin
Nach dem Ende der Luftbrücke blieb Tempelhof ein wichtiger Flughafen für den zivilen Luftverkehr in West-Berlin. Als Inselstadt inmitten der DDR war Berlin auf die Luftverbindungen in den Westen angewiesen. Die amerikanischen Streitkräfte nutzten einen Teil des Flughafens weiterhin als Militärbasis, was dem Bezirk eine besondere Bedeutung im Kalten Krieg verlieh.
Der Bezirk Tempelhof, der seit der Verwaltungsreform von 1938 einen eigenständigen Stadtbezirk bildete, entwickelte sich in der Nachkriegszeit zu einem typischen West-Berliner Wohngebiet mit einer Mischung aus Altbausubstanz und neuen Siedlungen. Die Nähe zum Flughafen prägte das Leben der Anwohner, für die das Brummen der Flugzeuge zum alltäglichen Hintergrundgeräusch wurde.
Die Nachkriegszeit: Wiederaufbau und Wohnungsbau in Tempelhof
Wiederaufbau und wirtschaftlicher Aufschwung
Nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs begann in Tempelhof, wie in ganz Berlin, der mühsame Wiederaufbau. Die 1950er Jahre waren geprägt vom Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur und der Wiederherstellung der Versorgung. Viele der im Krieg beschädigten Gebäude wurden wiederhergestellt, andere mussten neu errichtet werden. Die amerikanische Besatzungsmacht unterstützte den Wiederaufbau im Rahmen des Marshall-Plans mit finanziellen Mitteln und technischem Know-how.
Ein Schwerpunkt des Wiederaufbaus war die Wiederbelebung der Wirtschaft. Viele der traditionellen Industriebetriebe in Tempelhof nahmen ihre Produktion wieder auf, darunter die Maschinenfabrik Orenstein & Koppel und die Ullstein-Druckerei im markanten Ullsteinhaus. Neue Betriebe siedelten sich an, besonders in der Elektro- und Feinmechanikindustrie. Die gute Verkehrsanbindung und die Nähe zum Flughafen machten Tempelhof zu einem attraktiven Wirtschaftsstandort.
Wohnungsbau und neue Siedlungen
Ein drängendes Problem der Nachkriegszeit war die Wohnungsnot. Viele Gebäude waren zerstört oder beschädigt, und zahlreiche Flüchtlinge aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten suchten in Berlin eine neue Heimat. In Tempelhof entstanden in den 1950er und 1960er Jahren mehrere große Wohnsiedlungen, die den akuten Wohnungsmangel lindern sollten.
Ein Beispiel ist die Siedlung am Mariendorfer Weg, die zwischen 1953 und 1959 nach Plänen der Architekten Hans Scharoun und Werner Düttmann errichtet wurde. Mit ihren offenen Grünflächen, den lichtdurchfluteten Wohnungen und der modernen Infrastruktur verkörperte sie das Ideal des sozialen Wohnungsbaus der Nachkriegszeit. Auch die Gartenstadt Neu-Tempelhof, die bereits in den 1920er Jahren begonnen wurde, erhielt Erweiterungen und Ergänzungsbauten.
Amerikanische Präsenz und Kalter Krieg
Die Präsenz der amerikanischen Streitkräfte prägte das Leben in Tempelhof während des Kalten Krieges. Die Americans etablierten auf dem Flughafengelände ihre Militärbasis und richteten verschiedene Einrichtungen für ihre Soldaten und deren Familien ein, darunter Wohnquartiere, Schulen und Freizeiteinrichtungen. Der „PX“ (Post Exchange), das amerikanische Kaufhaus auf dem Flughafengelände, war ein begehrtes Ziel für die Berliner, die hier Waren kaufen konnten, die sonst nicht erhältlich waren.
Die amerikanische Präsenz brachte auch kulturelle Einflüsse mit sich. Amerikanische Musik, Mode und Lebensweise fanden über die GIs ihren Weg in die Berliner Gesellschaft. Jazz-Clubs und Rock’n’Roll-Lokale entstanden, und der „American Way of Life“ wurde zum Inbegriff von Freiheit und Wohlstand. Gleichzeitig war die militärische Präsenz auch eine ständige Erinnerung an die prekäre geopolitische Lage West-Berlins als „Insel im roten Meer“.
Tempelhof in der Wendezeit und nach der Wiedervereinigung
Mauerfall und neue Perspektiven
Der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 und die folgende Wiedervereinigung Deutschlands bedeuteten auch für Tempelhof einen tiefgreifenden Wandel. Die Insellage West-Berlins endete, und neue Verbindungen zur Umgebung entstanden. Die Öffnung der Grenzen brachte neue Bewegungsfreiheit, aber auch wirtschaftliche Herausforderungen. Viele Industriebetriebe in Tempelhof gerieten in den 1990er Jahren in wirtschaftliche Schwierigkeiten, da sie der Konkurrenz aus dem wiedervereinigten Deutschland und dem globalen Markt standhalten mussten.
Die Präsenz der amerikanischen Streitkräfte wurde schrittweise reduziert und endete schließlich im Jahr 1994, als die letzten amerikanischen Truppen Berlin verließen. Die militärischen Einrichtungen auf dem Flughafengelände wurden aufgegeben und für zivile Zwecke umgenutzt. Dies markierte das Ende einer Ära, die das Leben in Tempelhof fast fünf Jahrzehnte lang geprägt hatte.
Die Flughafendebatte und Schließung
Mit der Wiedervereinigung und der Normalisierung der Berliner Verhältnisse stellte sich auch die Frage nach der Zukunft des Flughafens Tempelhof. Die innerstädtische Lage, die während der Teilung Berlins ein Vorteil gewesen war, wurde nun zunehmend als problematisch angesehen. Fluglärm und Umweltbelastungen belasteten die Anwohner, und die alte Infrastruktur entsprach nicht mehr den Anforderungen des modernen Luftverkehrs.
Nach langen und kontroversen Debatten wurde 1996 beschlossen, den Flugverkehr in Berlin auf die Standorte Tegel und Schönefeld zu konzentrieren und den Flughafen Tempelhof zu schließen. Gegen diese Entscheidung formierte sich Widerstand in der Bevölkerung, der in einem Volksbegehren mündete. Trotz der breiten öffentlichen Unterstützung für den Erhalt des Flughafens wurde Tempelhof am 30. Oktober 2008 geschlossen, und der letzte Flieger verließ das historische Gelände.
Das Tempelhofer Feld: Vom Flughafen zum Park
Nach der Schließung des Flughafens entbrannte eine intensive Diskussion über die zukünftige Nutzung des riesigen Areals. Während die Berliner Senatsverwaltung Pläne für eine teilweise Bebauung mit Wohnungen, Gewerbe und einem zentralen Park entwickelte, forderten Bürgerinitiativen den vollständigen Erhalt der Freifläche. Im Mai 2010 wurde das Tempelhofer Feld zunächst als öffentlicher Park eröffnet, bevor über seine endgültige Bestimmung entschieden wurde.
Die Berliner nahmen den neuen Freiraum begeistert an. Innerhalb kurzer Zeit entwickelte sich das Tempelhofer Feld zu einem beliebten Erholungsgebiet, auf dem sich Freizeitsportler, Familien und Erholungssuchende tummelten. Zahlreiche kreative Projekte und Initiativen siedelten sich an, darunter Urban-Gardening-Projekte, Kunstprojekte und soziale Experimente.
Als die Pläne für eine teilweise Bebauung des Geländes konkreter wurden, formierte sich erneut Widerstand. Die Initiative „100% Tempelhofer Feld“ sammelte Unterschriften für ein Volksbegehren zum Erhalt des kompletten Areals als Freifläche. Am 25. Mai 2014 stimmten die Berliner in einem Volksentscheid mit deutlicher Mehrheit für den Erhalt des Tempelhofer Feldes in seinem damaligen Zustand. Das daraufhin erlassene „Gesetz zum Erhalt des Tempelhofer Feldes“ sichert die Freifläche vor Bebauung und gewährleistet ihre Nutzung als öffentlicher Park.
Tempelhof heute: Vielfalt, Wandel und Zukunftsperspektiven
Demografische und soziale Entwicklung
Der heutige Bezirk Tempelhof-Schöneberg, der 2001 im Rahmen der Berliner Bezirksreform aus den früheren Bezirken Tempelhof und Schöneberg gebildet wurde, ist von großer kultureller und sozialer Vielfalt geprägt. Die Bevölkerungsstruktur spiegelt die bewegte Geschichte des Bezirks wider: Neben alteingesessenen Berlinern leben hier Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen, die in den letzten Jahrzehnten nach Berlin gekommen sind und den Bezirk bereichern.
Die sozialen Strukturen in Tempelhof sind vielfältig. Während einige Gebiete wie das Fliegerviertel oder die Gartenstadt zu den gehobenen Wohnlagen Berlins zählen, gibt es auch Bereiche mit sozioökonomischen Herausforderungen. Diese Vielfalt macht Tempelhof zu einem Mikrokosmos der Berliner Stadtgesellschaft, in dem sich urbane Entwicklungen exemplarisch beobachten lassen.
Kulturelles Erbe und moderne Nutzungen
Das kulturelle Erbe Tempelhofs wird heute bewusst gepflegt und für neue Nutzungen erschlossen. Das monumentale Flughafengebäude, das seit 2019 als „Tempelhof Projekt“ verwaltet wird, beherbergt verschiedene kulturelle und wirtschaftliche Nutzungen. In den ehemaligen Hangars und Abfertigungshallen finden Messen, Konzerte und Kunstausstellungen statt. Teile des Gebäudes werden von Startups und kreativen Unternehmen genutzt, die die besondere Atmosphäre des historischen Ortes schätzen.
Auch in anderen Teilen Tempelhofs wird das historische Erbe bewahrt und mit neuem Leben gefüllt. Das Ullsteinhaus, einst Sitz des gleichnamigen Verlags, ist heute ein Kreativzentrum mit Büros, Ateliers und Veranstaltungsräumen. Die alten Industriebauten im Bezirk werden zunehmend umgenutzt und für moderne Zwecke adaptiert, wobei ihr industrieller Charme erhalten bleibt.
Zukunftsperspektiven und Herausforderungen
Tempelhof steht, wie ganz Berlin, vor verschiedenen Herausforderungen und Entwicklungsaufgaben. Der Druck auf den Wohnungsmarkt erfordert neue Wohnungen, während gleichzeitig der Charakter der gewachsenen Kieze bewahrt werden soll. Die Balance zwischen Verdichtung und Erhalt von Freiflächen ist eine zentrale städtebauliche Aufgabe.
Das Tempelhofer Feld bleibt ein Thema kontroverser Diskussionen. Während das Gesetz zum Erhalt des Feldes eine Bebauung derzeit ausschließt, werden immer wieder Stimmen laut, die für eine teilweise Nutzung des Areals für Wohnungsbau und soziale Infrastruktur plädieren. Diese Debatte spiegelt die grundsätzliche Frage wider, wie mit dem begrenzten Raum in der wachsenden Stadt umgegangen werden soll.
Eine weitere Herausforderung ist die wirtschaftliche Entwicklung des Bezirks. Nach dem Niedergang traditioneller Industrien hat sich Tempelhof zunehmend als Standort für Dienstleistungs- und Kreativunternehmen etabliert. Diese Transformation weiterzuführen und gleichzeitig Arbeitsplätze für unterschiedliche Qualifikationsniveaus zu schaffen, ist eine wichtige Aufgabe für die Zukunft.
Fazit: Tempelhof als Spiegel deutscher Geschichte
Die Geschichte Tempelhofs ist ein faszinierender Spiegel der deutschen und Berliner Geschichte. Von den mittelalterlichen Anfängen über die preußische Zeit und die Industrialisierung bis hin zu den dramatischen Ereignissen des 20. Jahrhunderts und der jüngsten Entwicklung – Tempelhof hat alle Höhen und Tiefen der deutschen Geschichte miterlebt und wurde von ihnen geprägt.
Besonders die Geschichte des Flughafens Tempelhof mit der Berliner Luftbrücke als Höhepunkt hat dem Bezirk eine weltpolitische Bedeutung verliehen und sein Image nachhaltig geprägt. Die erfolgreiche Transformation des Flughafengeländes zum öffentlichen Park zeigt, wie historisches Erbe bewahrt und gleichzeitig für neue Nutzungen geöffnet werden kann.
Die Vielfalt und Lebendigkeit des heutigen Tempelhofs, die Mischung aus historischer Substanz und moderner Entwicklung, macht den Bezirk zu einem spannenden Ort, der seine reiche Geschichte lebendig hält und gleichzeitig offen für die Zukunft ist. Die Geschichte Tempelhofs ist noch lange nicht zu Ende – sie wird weitergeschrieben von den Menschen, die hier leben, arbeiten und ihre Spuren hinterlassen.